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Die Lust an Sprache

Im Zuge der Veröffentlichung des Integrationsberichts flammt wieder einmal die Diskussion um Menschen mit nicht deutscher Muttersprache auf. Leider ist diese Frage längst ein Politikum und wird ideologisch beantwortet. Ein Aspekt, der jedoch von unterschiedlichen Experten und Expertinnen immer wieder betont wird, ist die Beherrschung der Muttersprache als Ausgangspunkt fürs Erlernen der deutschen Sprache. Warum? Weil ein grundsätzliches Verständnis von Sprache eine solide Basis darstellt.

Eigentlich ergeben sich daraus klare Konsequenzen, doch der Trend geht allgemein in eine andere Richtung. Die Auseinandersetzung mit Sprache hat sich nämlich prinzipiell verändert. Grammatik zu lernen wird häufig mit altmodischem Mühsal gleichgesetzt, Kursanbieter werben mit Methoden, wie man rasch und ganz leicht zu Ergebnissen kommt, ohne sich anzustrengen. Es obliegt mir nicht, diese Angebote zu beurteilen, doch möchte ich eine Lanze für die „alte Schule“ brechen: Ja, auch ich habe in der Schule Grammatik gehasst, aber je länger ich mich damit auseinandergesetzt habe, desto spannender habe ich das Abenteuer Sprache gefunden. Latein war nicht mein Lieblingsfach, aber es hat mein Interesse für Strukturen geweckt und mir geholfen, die Basis von Sprache zu verstehen. Das hat mir dabei geholfen, andere Sprachen zu erlernen – und wiederum mein Interesse für Sprachen geweckt, die ganz anders funktionieren als viele europäische. Es hat auch mein Leseverhalten beeinflusst: Inzwischen wähle ich Bücher nach dem Stil aus, freue mich über gelungene Formulierungen, über kleine verbale Stolpersteine. Und bedaure manchmal Menschen, die ihr eigenes Ausdrucksvermögen durch den Fokus auf Kurznachrichten immer weiter einschränken.

Schon allein deshalb wünsche ich mir, dass allen Kindern die Möglichkeit geboten wird, Bewusstsein und Freude an Sprache zu entwickeln, in ihrer Muttersprache, in anderen Sprachen. Wenn Sprechen an sich problematisiert und klassifiziert wird, ist das ein weiterer Schritt in Richtung Sprachlosigkeit.

Krisenkommunikation mit Tücken

Es ist nicht leicht, in Krisen gut und transparent zu kommunizieren, und vieles ist während der Corona-Pandemie gelungen. Doch manche Begriffe werden falsch oder uneindeutig verwendet, was zu Verwirrung und Missverständnissen führt. Zwei Beispiele dafür sind „Eigenverantwortung“ und „Risikogruppen“.

Was Eigenverantwortung heißt, sagen schon die beiden Teile des zusammengesetzen Hauptworts. Wenn jetzt an die Eigenverantwortung in Bezug auf das Tragen von Masken appelliert wird, ist das fast zynisch. Denn Personen, die zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln keinen Mund- Nasen-Schutz tragen, handeln subjektiv gesehen eigenverantworlich, weigern sich aber, Verantwortung für andere zu übernehmen, indem sie sie einem Ansteckungsrisiko aussetzen. Fahrgäste, die wiederum ihre Verantwortung für andere wahrnehmen, können für sich selbst nichts anderes tun, als diese Gefährdung hinzunehmen oder darauf aufmerksam zu machen. Sie können also eigenverantwortlich einer möglichen Infektion und damit der Ausbreitung der Pandemie nicht vorbeugen. Darum müssten die Durchsagen also Verantwortungsbewusstsein (für andere) und Rücksicht einfordern, (was ich den ÖBB auch rückgemeldet habe).

Ähnlich war und ist es mit dem Begriff „Risikogruppen“. Besonders zu Beginn der Pandemie wurden hier nicht nur unterschiedliche Personengruppen undifferenziert in verschiedenen Kontexten beschrieben (also Personen, die auf Grund ihres Berufs, ihres Alters oder ihrer Vorerkrankung besonders gefährdet sind), es wurde auch nicht unterschieden, um welches Risiko es ging: um ein erhöhtes Infektionsrisiko oder um ein erhöhtes Risiko, einen schweren Verlauf zu erleben, was doch einen erheblichen Unterschied macht. Verwendet man jedoch einen Begriff für unterschiedliche Situationen, kann das zu Verwirrung führen. Zwar ist inzwischen ein bisschen Licht in die Sache gekommen, doch werden nach wie vor immer wieder alle möglichen Varianten unter „Risikogruppe“ subsummiert.

Es ist nicht leicht, in Krisen genau zu kommunizieren. Aber umso wichtiger.

Was fehlt

Seien wir froh! Wäre die Corona-Krise vor zwanzig Jahren ausgebrochen, wäre uns das Kontakthalten um einiges schwerer gefallen. Die digitalen Medien sind heute jedoch so weit entwickelt, dass (fast) alles abseits der persönlichen Begegnung möglich ist: Telefonkonferenzen über Länder hinweg, Skypen mit der Großmutter oder gemeinsames Abendessen mit Freunden via Zoom. Wem das Telefonieren zu anstrengend wird, kann SMS oder Whatsapp verschicken und natürlich gibt es auch noch die guten alten Mails. Zwar tun sich parallel dazu viele Fragen bezüglich des Datenschutzes auf, doch für den Moment zählt für viele die Möglichkeit, die Isolation zu durchbrechen und auch in Zeiten der Einschränkungen soziale Kontakte aufrechterhlten zu können.

So positiv diese Kommunikationswege auch sind, offenbart sich gleichzeitig, was uns fehlt, wenn wir nicht persönlich in Kontakt treten können. Kommunikation ist mehr als miteinander zu reden. Sie besteht auch darin, einander anzuschauen und zu berühren, Reaktionen unmittelbar zu erleben und gemeinsam einen realen Ort mit all seinen Einflüssen zu erleben. Was verloren geht, ist das Reden neben dem gemeinsamen Tun, das Teilen von unmittelbaren Erfahrungen. Und so fällt bei aller technischer Brillanz ein großer Teil dessen weg, wie und warum wir miteinander kommunizieren.

Deshalb geht es vielen wahrscheinlich so wie mir: So gut ich digital auch mit meiner Umgebung Kontakt halten kann, so froh werde ich sein, wenn persönliche Begegnungen wieder möglich sind.