Im Zuge der Veröffentlichung des Integrationsberichts flammt wieder einmal die Diskussion um Menschen mit nicht deutscher Muttersprache auf. Leider ist diese Frage längst ein Politikum und wird ideologisch beantwortet. Ein Aspekt, der jedoch von unterschiedlichen Experten und Expertinnen immer wieder betont wird, ist die Beherrschung der Muttersprache als Ausgangspunkt fürs Erlernen der deutschen Sprache. Warum? Weil ein grundsätzliches Verständnis von Sprache eine solide Basis darstellt.
Eigentlich ergeben sich daraus klare Konsequenzen, doch der Trend geht allgemein in eine andere Richtung. Die Auseinandersetzung mit Sprache hat sich nämlich prinzipiell verändert. Grammatik zu lernen wird häufig mit altmodischem Mühsal gleichgesetzt, Kursanbieter werben mit Methoden, wie man rasch und ganz leicht zu Ergebnissen kommt, ohne sich anzustrengen. Es obliegt mir nicht, diese Angebote zu beurteilen, doch möchte ich eine Lanze für die „alte Schule“ brechen: Ja, auch ich habe in der Schule Grammatik gehasst, aber je länger ich mich damit auseinandergesetzt habe, desto spannender habe ich das Abenteuer Sprache gefunden. Latein war nicht mein Lieblingsfach, aber es hat mein Interesse für Strukturen geweckt und mir geholfen, die Basis von Sprache zu verstehen. Das hat mir dabei geholfen, andere Sprachen zu erlernen – und wiederum mein Interesse für Sprachen geweckt, die ganz anders funktionieren als viele europäische. Es hat auch mein Leseverhalten beeinflusst: Inzwischen wähle ich Bücher nach dem Stil aus, freue mich über gelungene Formulierungen, über kleine verbale Stolpersteine. Und bedaure manchmal Menschen, die ihr eigenes Ausdrucksvermögen durch den Fokus auf Kurznachrichten immer weiter einschränken.
Schon allein deshalb wünsche ich mir, dass allen Kindern die Möglichkeit geboten wird, Bewusstsein und Freude an Sprache zu entwickeln, in ihrer Muttersprache, in anderen Sprachen. Wenn Sprechen an sich problematisiert und klassifiziert wird, ist das ein weiterer Schritt in Richtung Sprachlosigkeit.